Ein Text einer Person, die vor kurzem ihre gerichtlichen Prozesse im Rahmen der Räumung vom Danni vor 2 Jahren durchgestanden hat
Wir sind heute in der skurrilen Situation, sachlich über etwas zu verhandeln, was sich jeder Rationalität entzieht – meine Erfahrung mit dem Staatsapparat, Monate der Zerstörung durch die Polizei, gefolgt von Monaten der Gefangenschaft. Es wird von mir erwartet, dass ich mich zu einem Vorwurf äußere, doch ich kann und ich will nicht über das, was ich erlebt habe mit Ihnen heute hier „verhandeln“. Wir reden von „Körperverletzung“ und „Straftaten“, doch wir reden nicht über die Ungerechtigkeit, die hinter solchen Worten versteckt wird.
Ich will diesen Moment nutzen, um eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte aus der Gefangenschaft, die auf kein Gehör stoßen wird, obwohl es unzählige gibt, die ihr ähneln. Sie bleiben Nummern im System, verschwinden hinter den Worten, die RichterInnen und Staatsanwälte ihnen wie Stempel aufdrücken. Ein solcher „namenloser Mensch“, jemand dessen Name auch ich nie erfuhr, hat mit mir, wie es viele der Gefangenen tun, die Geschichte geteilt, wie sein Weg ihn ins Gefängnis geführt hatte. Er saß wegen Ladendiebstahls.
Er war in Marokko aufgewachsen, wo ein Geflecht aus Politik und Wirtschaft, die Menschen unter fatalen Arbeitsbedingungen in den Sandabbau zwang, ihnen keine Perspektive und keinen Ausweg ließ. So entschied er sich zur Flucht nach Europa. Nach einer bewegten aber geglückten Reise über das Mittelmeer gelangte er über Spanien nach Deutschland. Kaum mit einem Fuß auf dem Boden, wurde sein Asylantrag abgelehnt und er wurde nach kurzer Zeit abgeschoben. Noch am Flughafen in Marokko hat man ihn verhaftet, in ein Gefängnis gebracht und dort gefoltert. Er zeigte mir Narben an seinen Füßen und Beinen. Ihm gelang mit einigen Gefangenen gemeinsam die Flucht und er machte sich erneut auf den Weg nach Europa, zu bleiben nun erst Recht eine Unmöglichkeit. Wieder war seine einzige Option der lebensgefährliche Weg über das Mittelmeer. Er schaffte es ein zweites Mal, und gelangte wieder nach Deutschland. Er stellte auch direkt wieder einen Asylantrag, und hatte, nachdem er erzählte wie er am Flughafen festgenommen und gefoltert wurde, anscheinend auch gute Chancen, dieses Mal Asyl zu bekommen. Jedoch besaß er keine Arbeitserlaubnis, weshalb er zum Überleben auf Ladendiebstahl zurückgreifen musste. Ein systematischer Kreislauf, der Menschen für die Lebensbedingungen bestraft, in die er sie hineinzwingt. Nachdem er mehrmals erwischt wurde, kam er in U-Haft. Dort lernten wir uns kennen. Damals stand im Raum, dass sein Asyl verfällt und er wieder abgeschoben wird. Er war sich aber gewiss, dass er es wieder übers Mittelmeer versuchen würde.
Wieso erzähle ich diese Geschichte? Weil es sonst niemand tun wird! Ich könnte hier eine endlose Rede über die Ungerechtigkeit der Räumung des Waldes, der Zerstörung unser aller Lebensgrundlage, halten, wie es schon viele, vor allem weiße Menschen unter mehr oder weniger Zustimmung getan haben. Aber das Elend, das verursacht wird, ist Teil meines Lebens, weil ich mich entschieden habe, nicht weg zusehen. Es ist nicht zu mir selbst geworden, so wie die zerstörerischen Bedingungen der Sandindustrie Landstriche und Menschenleben versiegen lassen.
Meine Lungen werden sich nie mit dem Salz des Meeres vor den Grenzen Europas füllen.
Und doch, habe auch ich die Realität der Gefangenschaft mit diesen Menschen geteilt.
Ich möchte, dass wir uns etwas vorstellen. Wir, die wir die Türen dieses Raumes öffnen können. Auch die von uns, die hier im alltäglichen Rhythmus Entscheidungen über das Leben von Menschen treffen.
Wie würdest du dich fühlen, wenn du nicht eine, nicht fünf, sondern 24 Stunden in einen komplett leeren, hell erleuchteten Raum gesperrt wirst, mit deinen Gedanken allein im Weiß der Wände, im Unklaren darüber was als nächstes geschieht?
Wie fühlst du dich, wenn sie dir den Grund deiner Haft nennen, und du weißt, dass dir deswegen bereits jetzt ein Vielfaches an Gewalt angetan wurde, die TäterInnen dafür jedoch einen Lohn ausgezahlt bekommen?
Wie würdest du darauf reagieren wenn dir gesagt wird, dass du gerade nicht mit deinem einzigen noch erlaubten Beistand, deinem Anwalt, reden darfst, weil es angeblich nur ein Telefon gäbe, dass gerade wegen Infektionsschutz nicht genutzt werden darf?
Was machst du, wenn du dann stattdessen einen Brief schreibst, dieser aber wieder zu dir zurück kommt, weil du kein Geld hast und keine Möglichkeit an welches zu kommen. Wenn zwar keine Kosten und Mühen gescheut werden, um dich hier eingesperrt zu halten aber 50 Cent für eine Briefmarke zu viel verlangt sind?
Was wenn diejenigen, die dich einsperren in einer Tour gegen ihre eigenen Regeln verstoßen und du weißt, dass du „im Recht“ bist aber nichts, wirklich nichts tun kannst?
Überlege wie du dich gerade fühlst, was du denkst, wenn du dir vorstellst, dich in der Falle zu fühlen, ausgeliefert, kontrolliert, verschluckt. Was wenn diese Gedanke in einer immer wiederkehrenden Dauerschleife durch deinen Kopf rattern. Du niemanden hast, mit dem du sie teilen. Nach der Isolation, nach den Runden, die du im abgeschlossenen Raum deiner Zelle und deines Kopfes verbracht hast, hast du eine Stunde am Tag, eine Stunde, um mit anderen in derselben Situation zu reden. Stell dir mal vor wie viel Wirrwarr da geredet wird. Wie jedes Mal der Versuch ins Leere läuft, in so kurzer Zeit etwas miteinander zu teilen und zu verarbeiten. Du dann wieder eingesperrt wirst und die nächsten 23 Stunden alleine bist.
Für alle, die diese Realität jeden Tag leben müssen. Für alle, deren Geschichte nie erzählt werden wird. Und für alle, die es nicht mehr heraus geschafft haben.
Rest in Power, Fabi!
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